Eher durch Zufall und beim Stöbern im Net fiel mir auf, dass sich der Tag des Suizids von Robert Enke heute zum fünften Mal jährt- einer der Tage, von denen ich genau weiss, was ich getan habe, als die Nachricht auf Spiegel-Online kam, nämlich mit dem Koboldmann geskypt und wie viele andere, die den Fussball lieben und dennoch nicht blind sind gegenüber den extremen Anforderungen nicht alleine an die Physis, sondern mindestens genauso an die Psyche gerade im Profibereich, war ich berührt, fassungslos und schockiert.

Möglicherweise auch deshalb, weil mein engeres familiäres Umfeld unmittelbar seit Jahren mit einer depressiven Erkrankung und ihren Folgen konfrontiert ist und es aktuell besonders schwierig ist, damit umzugehen. Wie Teresa Enke in diesem bemerkenswerten Interview kurz nach dem Tod ihres Mannes sagte: *...wir dachten, wir schaffen alles, mit Liebe geht das- man schafft es doch nicht...*

Meine Gedanken galten bereits damals nicht ausschliesslich der Frau und Familie, den Freunden und Mannschaftskameraden von Robert Enke, sondern auch in besonderem Maße dem Lokführer, dessen Zug Enke´s Weg kreuzte, als er seinen geplanten Selbstmord realisierte. Ich denke, auch dieser Mann bedarf des Mitgefühls, vermutlich auch jetzt noch, Jahre danach.

Wirklich und gravierend geändert hat sich (erwartungsgemäss) trotz vieler grosser Worte seither nicht, vielleicht das Bewusstsein von Sportlern und Trainern ein wenig dahingehend, dass in manchen Fällen offener mit Burnout und depressiven Erkrankungen umgegangen wurde, bzw. nach Hilfe gesucht wurde.

Hier einige Artikel zum Thema: http://www.sueddeutsche.de/sport/todesta...etete-1.2212426
http://www.zeit.de/sport/2014-11/robert-...odestag/seite-1
http://www.spiegel.de/sport/fussball/rob...-a-1001551.html

Zum Schluss das Lied, das Teresa Enke für die Trauerfeier ausgesucht hatte: http://www.youtube.com/watch?v=rQ115vHM8Xs

Als Robert Enke sich vor fünf Jahren das Leben nahm, war mein Mitleid vor allem und nahezu ausschließlich bei diesem armen Lokführer, der ja wirklich gar nichts mit der persönlichen Situation Enkes zu tun hatte und der zumindest teilweise vorsätzlich in diese unglaublich schreckliche Lage hineingezwungen wurde, einen Menschen zu überrollen, zu töten ... Bilder, die ihn wohl ein ganzes Leben begleiten werden und die ihm gewiss auch sehr viel seines Lebensglücks gekostet haben.

Natürlich ist eine Depression eine ernstzunehmende Erkrankung. Robert Enke befand sich doch auch scheinbar in Behandlung, lehnte aber einen stationären Aufenthalt ab. Er hatte ein stabiles familiäres Umfeld, hatte alle Möglichkeiten ... und nutzte sie nicht.

Persönlich verstehe ich die Beweihräucherung und Heldenverehrung nicht, die nach seinem Selbstmord um Enke gemacht wurden. Tut mir leid. Ich bedauere natürlich auch seine Frau und die Tochter, aber eine Trauerfeier in diesem Ausmaß hielt und halte ich für völlig überzogen. Da sterben Menschen, die mehr geleistet haben und finden weniger Beachtung.

Abseits meiner gestern geäußerten persönlichen Meinung, hat der Selbstmord Enkes offensichtlich aber viel bewirkt und das im positiven Sinn.

So erzählte Jupp Heynckes in einer Diskussionsrunde, dass er zum Ende seiner Karriere einen ähnlichen Fall gehabt habe, wo aber der Verein gemeinsam mit dem Spieler eine Möglichkeit gefunden hat, aus der schlimmen Lage herauszukommen. Er nennt keinen Namen.

Wobei Bayern vielleicht schon durch den Fall Sebastian Deisler Jahre vor Enkes Selbstmord für das Thema sensibilisiert war, nur war die Öffentlichkeit scheinbar zu der zeit nicht so weit. Oder das Ende von Deislers Karriere war nicht so "spektakulär" im negativen Sinn wie das von Enke. Er hat für sich noch die Reißleine ziehen können ... und konnte mit dem Blick zurück Ursachen erkennen.

Die Art und Weise des öffentlichen Umgangs mit dem Tod von Robert Enke und die Trauerfeier kann man durchaus in Frage stellen und klar sterben laufend Menschen, die bemerkenswertes geleistet haben, ohne irgendwo erwähnt zu werden, doch ich denke, das ist so relativ wie vieles im Leben oder auch im Tod- Fakt ist, dass fast ausnahmslos jeder Tod eines Menschen, ob absehbar oder nicht, ob letztlich Erlösung oder völlig überraschend für nahestehende Personen, für das direkte Umfeld eine Tragödie ist und eine Lücke hinterlässt. Ist der Tod einer Mutter Teresa oder der Opfer von 9/11 *wichtiger* als der eines *Nobody*, der vom geliebten Umfeld schmerzlich vermisst wird, muss man etwas vorzeigbares geleistet haben, um im/ nach dem Tod Beachtung zu finden??

Alles eine Sache der Betrachtungsweise, meine ich.

Offenbar brauchen manche Menschen *Helden*, ob nun im Sport, der Politik, dem Showbiz oder sonstwo, warum auch immer- bitte, gerne. Hochachtung, Respekt treffen meine Empfindungen für bestimmte Personen, die jedoch mit den genannten *Genres* so gar nichts zu tun haben und auch nicht mit Robert Enke, das ist mehr Bedauern und Mitgefühl. Und zwar deshalb, weil ich aufgrund persönlicher Erfahrungen weiss, dass Depressions-Kranke nicht über die Fähigkeit zu rationalem Denken und Handeln verfügen, sondern in ihrer Krankheit gefangen und den damit verbundenen Emotionen ausgeliefert sind und dass in Enke´s Fall die Scham und Angst vor hypothetischen Konsequenzen, sich als Profifussballer durch eine stationäre Behandlung der psychischen Erkrankung als schwach und krank zu *outen* zu gross waren, um sie in Anspruch zu nehmen, ist für mich eher tragisch, als dass ich das als quasi *selbst schuld* abtun mag und kann, wenn ich mir vorstelle, wie gross der Leidensdruck sein muss, der jemanden dazu veranlasst eine solche Todesart zu wählen.

Weshalb nicht der Fassungslosigkeit und Trauer der Hannover 96-Anhänger und Fussballerkollegen etwas mehr als eine Stunde Raum und Zeit geben, ein kurzzeitiges Innehalten und Besinnen darauf, dass der einzelne Mensch mit all seinen Facetten, auch den verborgenen, das ist, was zählt.

Ob die während der letzten Jahre erfolgte öffentliche Wahrnehmung und Sensibilisierung gegennüber Krankheiten wie Depressionen und Burnout mit dem Suizid von Robert Enke in Verbindung steht, vermag ich nicht zu beurteilen- es gibt sie und das ist gut und wichtig.

Ich muss zugeben, dass mich das Thema dann doch noch länger beschäftigt hat. Wahrscheinlich aufgrund meiner persönlichen Vita, wo ich einiges an Problemem selbst zu bewältigen hatte, hat mich das "hart" gemacht gegenüber Depressionen. So wie ich mir immer wieder vor Augen gehalten habe, ich müsse stark sein, ich dürfe mich nicht unterkriegen lassen usw. erwarte ich es auch von andern. Und es ist ein Denkfehler ... denn ich hatte scheinbar das Glück, dass ich stark, hart oder trotzig genug war. So ist nicht jeder. Ich muss echt lernen zu verinnerlichen, dass Depressionen ernsthafte Erkrankungen sind. In meinem Job kann ichs doch auch ... vermittele den werdenden Müttern, dass sie vielleicht nach der Geburt den Babyblues kriegen, dass es normal ist und mit den hormonellen Umstellungen zu tun hat .... ich warne ausdrücklich vor allem die begleitenden Väter auf ihre Frauen ein besonderes Augenmerk zu haben, weil einige postpartale Depressionen bekommen könnten ... erkläre, wie sie es erkennen und dass sie umgehend handeln müssen.

Dazu passend gabs dann heute noch den Artikel http://www.spiegel.de/gesundheit/psychol...-a-1002510.html .... und ja, ich geh in mich und versuch es endlich zu verinnerlichen!

Du hast hinsichtlich deiner Empfindung und bisherigen Einschätzung der Krankheit *Depression* nahezu exemplarisch geschildert, was viele und leider fälscherlicherweise denken und ebenso wie ich das Glück, nicht davon betroffen zu sein, unabhängig davon, wie furchtbar und traumatisch deine Erlebnisse waren.

Diese einigermaßen psychisch unbeschadet zu überstehen und zu bewältigen ist selbstredend ein Indiz persönlicher Stärke und Willenskraft, dennoch kann niemand mit diesen Attributen eine Depression *verhindern*, wenn die Anlage dazu vorhanden ist, aktuellen Erkenntnissen zufolge ist diese ganz stark vereinfacht gesagt, teilweise genetisch bedingt sowie durch die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und diverse weitere Faktoren.

Insofern freue ich mich, dass bei dir ein Umdenken eingesetzt hat- denn es ist nicht eigene Wille, der Menschen wie Robert Enke zu einer derart drastischen Form der Selbsttötung veranlasst, sondern die Krankheit, die dies als einzige Möglichkeit suggeriert, dem eigenen Leiden ein Ende zu machen und zwar ohne Rücksicht auf die Gefühle der geliebten Menschen oder dem Lokführer, der mit dem entsetzlichen Erlebten fertig werden muss.

Danke dir für deinen Beitrag, Clyde .

Selbst fehlen mir jegliche eigene Erfahrungen mit Psychiatern und psychiatrischen stationären Behandlungen und stelle deine persönlichen Erfahrungen nicht in Frage. Dass im Bereich der Psychatrie leider vielfach ausschliesslich auf den *Psychopharmaka-Colt* zurück gegriffen wird, ist sicher ein Fakt, dennoch und das hoffe ich zumindest, gibt es Einrichtungen, die ganzheitlich orientiert sind und arbeiten.

Dass in Fällen, in denen beispielsweise eine akute Suizidgefahr besteht oder ein psychotischer Schub etc., vorübergehend die chemische Keule eingesetzt wird, scheint mir vertretbar, sofern im Anschluss *ordentlich* therapiert wird.

Konkret- auch dieses vielschichtige Thema betreffend sind nach meiner Auffassung Pauschalierungen unangebracht und unter Umständen gefährlich, nämlich dann, wenn Kranke aufgrund solcher Vorurteile eine (notwendige) stationäre Behandlung verweigern. Es gibt ja nicht ausschliesslich geschlossene psychiatrische Abteilungen, sondern auch offene sowie ambulante Tageskliniken mit den unterschiedlichsten Ansätzen, Therapieformen und Möglichkeiten, um den Alltag zu bewältigen und zu genesen. Dass beispielsweise Depressionen ähnlich wie Suchterkrankungen niemals komplett *weg* sind und latent auf einen Trigger *lauern*, ist mir bewusst.

Mindestens ebenso verwerflich wie das dauerhafte Ruhigstellen von Psychatriepatienten ist für mich die Arbeit solcher Stationen, die Patienten mit ernsthaften Problemen verwalten, ohne Behandlung und/ oder Therapiemassnahmen anzubieten, quasi eine Art Hotel in der Klinik- jüngst bei einem Familienangehörigen erlebt: Auf eigenen Wunsch auf Station, neun Tage dort gewesen, ein einziges Mal war ein Arzt bei ihm, es war schwierig bis unmöglich einen Gesprächstermin mit irgendjemandem zu erhalten usw., bis er sich selbst entlassen hat. Unverantwortlich und beschämend, mehr äussere ich an dieser Stelle nicht, sonst wird´s hässlich.

Sehr komplexes Thema, zu dem ich einige weitere Aspekte und Gedanken habe, in Anbetracht der Uhrzeit in Verbindung mit zu wenig Schlaf sortiere ich die besser, wenn ich konzentrierter bin und texte dann .